INTERPRETATION ZU PLATO`S HÖHLENGLEICHNIS

1. Phase: Beschreibung der Gefangenen:

Das Leben in der Höhle kann man als das gewöhnliche Dasein interpretieren. Der Mensch wird geboren, er wächst in einem geschlossenen Raum auf, er lebt in einem geschlossenen System und er ist nie über die Grenzen seiner Behausung hinausgekommen, er hat also nie irgendetwas anderes zu Gesicht bekommen außer seinem Alltagstrott. Er fühlt sich in seiner Welt wohl, was ja auch kein Wunder ist, da er ja überhaupt nichts kennt, was er mit dem vergleichen könnte, was ihm geläufig ist. Wie sollte er auch wissen, dass es neben seiner Welt noch eine größere Wirklichkeit gibt, die er vermissen könnte, wenn er sie sehen könnte. Wie sollte er sie sehen können, der Unwissende ist ja in seiner eigenen kleinen Behausung, seiner dunklen Realität gefesselt. Er kennt nur die Schatten der Wirklichkeit und hält das, was er mit seinen Sinnen wahrnehmen kann, für das Ultimative, das Seiende.

2. Phase: Entfesselung:

Stellen Sie sich vor: Man ist sein ganzes Leben lang gefesselt und empfindet es als "normal", auf einen Stuhl in einer dunklen Höhle gebunden zu sein, ohne überhaupt zu wissen, was eine Höhle ist. Plötzlich kommt nun ein völlig unbekanntes Wesen, bindet einen los und zwingt einen, sich zu bewegen und die Augen vor dem Licht des Feuers zu öffnen. Natürlich würde man Angst vor dem Unbekannten empfinden; natürlich würde man Schmerz empfinden, wenn man bis dato noch nie einen Fuß vor den anderen gesetzt hat, die Muskeln zurückgebildet sind und man völlig steif ist. Natürlich ist man verwirrt: Man soll sich auf einmal bewegen - warum? Was will das fremde Wesen von einem? Schließlich würde man beginnen, all das, was man kennt, seine eigenen Erkenntnisse also, in Frage zu stellen und nach einer anderen Wahrheit zu fragen. Aber würde man diesem fremden Wesen wirklich bedingungslos folgen und ihm glauben oder vielleicht nicht eher, wie Platon es beschreibt, zu seinem beschränkten, vertrauten Horizont zurückkehren wollen? Nach Platon kann die erste Reaktion nur eine Flucht zurück in die Geborgenheit sein, da die Entfesselung, die schmerzvollen Bewegungen und die ersten Blicke ins grelle Feuer nur als lebensfeindliches Chaos erscheinen würde.

3. Phase: Vorgang des Hinaufsteigens zum Licht

Der Entfesselte will seinen Ort der Geborgenheit zuerst nicht verlassen und das für ihn fremde Wesen muss ihn mit Gewalt zwingen, den unebenen Weg aus der Höhle hin zur Außenwelt des Lichts zu überwinden und den beschwerlichen Weg der Erkenntnis zu gehen, der ihm noch mehr Schmerzen und Leid bereiten wird. Der Mensch steht am Ende dieses Weges am Eingang zum Licht. Dieses Licht brennt ihm in den Augen und er richtet seine Blicke zuerst nur auf die Erde, denn er ist von all dem Grellen, Neuen zunächst geblendet. Mit der Zeit aber sieht er alles neu und mit anderen Augen. Er sieht die Spiegelungen des Himmels im Wasser und bei Nacht können seine Augen schon den Sternenhimmel erkennen. Er fängt an, Ideen über die Zusammenhänge zu bekommen, er begreift, dass Spiegelungen in seiner ehemaligen Welt der Schatten nur Abbilder der originalen Welt waren. Der Entfesselte entdeckt nun für sich, dass alles, was er bisher zu wissen glaubte, einem Nichtwissen gleich kommt und er denkt mit Mitleid an seine ehemaligen Leidensgenossen zurück. Der Mensch ist nun auf der Stufe der Wahrheit angelangt, er ist nach Platon im denkbaren Raum.

4. Phase: Anblick des Lichts und Hinabstieg in die Höhle

Mit der endgültigen Gewöhnung der Augen an das Licht richtet der Mensch seine Blicke nur auf die originale Welt, auf die Urheber der Spiegelungen im Wasser und schließlich ist er bereit, direkt in die Sonne zu schauen und nach Platon die "Form des Guten" zu erkennen. Der Mensch kann nun die Sonne als die Quelle allen Lebens erkennen und die Zusammenhänge auch deuten. Der Mensch in Platons Höhlengleichnis spürt nun den Drang, sein Wissen weitertragen zu müssen und er sucht den Weg zurück in die Höhle zu seinen unwissenden Brüdern. Dieser Weg ist ähnlich schwierig und schmerzvoll wie sein Aufstieg und er ist zuerst orientierungslos und kann sich in der Dunkelheit des Nichtwissens, die er selbst einmal als absolute Wirklichkeit ansah, nicht zurechtfinden. Seine Brüder in der Höhle werden ihn auslachen und abwehren, denn das, was er zu berichten hat, übersteigt ihren Horizont. Platon meint sogar, seine Brüder würden ihn töten, falls sie die Möglichkeit dazu hätten, da sie die neuen Erfahrungen des Entfesselten nicht als wahr erkennen könnten, weil sie es nicht selbst erlebt haben (Platon meint, dass man nur dann nachhaltig lernen kann, wenn man selbst erlebt.). Der Mensch wiederum wird nicht aufgeben, das Erfahrene weitergeben zu wollen, aber er wird an der Übermacht der Unwissenden scheitern, die ihm keinen Glauben schenken will.

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