HOBBES: LEVIATHAN UND DER GESELLSCHAFTSVERTRAG

Die Grundlage bildet Hobbes egoistisches Menschenbild. Hobbes kommt bei seiner Frage, wie es wäre wenn es den Staat und die durch ihn verbürgte Ordnung nicht gäbe, zur Antwort, dass ein solcher Naturzustand durch prinzipielle Gleichheit aller, unbegrenzte natürliche Freiheit jedes Einzelnen, allgemeine Rechtsfreiheit und den Überlebenskampf aller gegen alle gekennzeichnet. Der Staat ist also ein Mittel zur Erzwingung des inneren Friedens.

Der Naturzustand ist ein rechtsfreier Raum, d. h. es gibt kein positives, vom Menschen willentlich gesetztes Recht, aber ein natürliches Recht.

Naturrecht und Naturgesetz:

Der Unterschied zwischen Recht und Gesetz besteht darin, dass das Recht eine Freiheit beinhaltet (man darf etwas tun), das Gesetz aber eine Verbindlichkeit (man muss etwas tun).

Das Naturrecht ist das Recht, welches im Naturzustand (= Fehlen einer staatlichen Ordnung) herrscht. Es ist "die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu beizutragen scheint, tun kann" (Leviathan, Kap. 14). Daraus wird das Recht aller auf alles abgeleitet. Haben aber alle ein Recht auf alles, schränken sie einander ein; Folge ist der Krieg alle gegen alle. Denn das Recht auf Freiheit (jeder hat ein Recht auf alles, was er braucht oder begehrt) schließt das Recht zur Selbsterhaltung und Selbstverteidigung ein. Die Selbstverteidigung darf mit allen denkbaren Mitteln bis hin zur Tötung erfolgen, die vorsorgliche Ausschaltung eines potentiellen Feindes eingeschlossen.

Naturgesetze sind Maximen, die aus der Vernunft entstehen und dieser auch einsichtig sind. Das Gewissen (forum internum) würde sie immer akzeptieren. Diese vernünftigen Gesetze können in der Praxis nur Gültigkeit erlangen, wenn es eine Staatsgewalt gibt, die für ihre Einhaltung sorgt, einen strafenden Gerichtshof (forum externum), denn für Hobbes ist der Mensch ein Triebwesen.

Für Hobbes gibt es zwei primäre Naturgesetze. Diese besagen im Wesentlichen, dass man den Zustand des Krieges aller gegen alle beenden will, also nach Frieden streben muss, um sich selbst zu erhalten. Nur wenn keine Hoffnung auf Frieden besteht, verteidigt man sich selbst mit allen Mitteln. Friede kann aber nur erreicht werden, wenn jeder Einzelne auf sein Recht auf alles verzichtet. Jeder soll also mit Hilfe eines Vertrages die meisten seiner Rechte auf eine Obrigkeit übertragen, unter der Voraussetzung, dass alle anderen es auch tun: "Also ist folgendes eine Vorschrift und allgemeine Regel der Vernunft: suche Friede, solange nur Hoffnung darauf besteht; verschwindet diese, so schaffe dir von allen Seiten Hilfe und nutze sie; dies steht dir frei. Der erste Teil dieser Regel enthält das erste natürliche Gesetz: suche Friede und jage ihm nach; der zweite den Inbegriff des Naturrechts: jeder ist befugt, sich durch Mittel und Wege aller Art selbst zu verteidigen. Aus diesem ersten natürlichen Gesetz ergibt sich das zweite: sobald seine Ruhe und Selbsterhaltung gesichert ist, muss auch jeder von seinem Recht auf alles - vorausgesetzt, dass andere auch dazu bereit sind - abgehen und mit der Freiheit zufrieden sein, die er den übrigen eingeräumt wissen will." (Leviathan, Kap. 14). Nach Hobbes ist das zweite Naturgesetz gleichbedeutend mit der Aussage des bekannten Sprichwortes: "Was andere dir nicht tun sollen, tue ihnen auch nicht."

Neben diesen zwei wichtigen Naturgesetzen gibt es noch neunzehn weniger wichtige, die allesamt die Aufgabe haben, den Frieden innerhalb des Staates zu sichern.

  • Übertragungen von Rechten können nur freiwillig geschehen, sonst sind sie ungültig. Die Freiwilligkeit einer solchen Übertragung ist aber nur gewährleistet, wenn dadurch demjenigen, der die Rechte überträgt, ein Vorteil entsteht. Daher ist z.B. alles Recht, das die Selbsterhaltung gewährleistet, nicht übertragbar.
    Die Übertragung der Rechte erfolgt durch einen Vertrag.
  • Ungerechtigkeit ist die Verletzung des geschlossenen Abkommens; Gerechtigkeit ist der durch das Naturgesetz festgelegte Entschluss, jedem das Seinige zu geben.
  • "Wer eine Wohltat unverdient empfängt, muss danach streben, dass der Wohltäter sich nicht genötigt sehe, seine erwiesene Wohltat zu bereuen" (Leviathan, Kap. 15).
  • Jeder muss dem anderen nützlich werden. Jeder Mensch, der der Gemeinschaft nicht nützt, muss damit rechnen, verstoßen zu werden, denn er wirkt dem Aufbau einer funktionierenden Gemeinschaft entgegen.
  • "Ein jeder muss Beleidigungen vergeben, sobald der Beleidiger reuevoll darum bittet und er selbst für die Zukunft sicher ist."
  • "Bei jeder Rüge muss auf die Größe nicht des vorhergegangenen Übels, sondern des zu erhoffenden Guten Rücksicht genommen werden." (Leviathan, Kap. 15)
  • Strafen sollen nur der Besserung des Sünders und zur Warnung anderer dienen. Die Verletzung dieses Gesetzes ist Grausamkeit.
  • Niemand darf durch Tat, Wort, Miene oder Gebärde Verachtung oder Hass gegen jemanden zeigen.
  • Alle Menschen sind von Natur aus gleich. Was die Natur gleich gemacht hat, soll auch im Staat gleich sein. Die Verletzung dieses Gesetzes bezeichnet Hobbes als Stolz.
  • Niemand soll bei einem Friedensschluss ein Recht für sich verlangen dürfen, dass er dem anderen nicht zugestehen will.
  • Streitsachen sollen von einem unparteiischen Richter entschieden werden.
  • Den Urteilsspruch eines unparteiischen Richters muss man sich gefallen lassen, denn sonst hat der  Streit zwischen Parteien im Staat nie ein Ende und der Friede ist nicht gesichert. Ferner sollen Zeugenaussagen Streitereien über eine Sache entscheiden.
  • u. a.

Für Hobbes ist die Kenntnis der Naturgesetze die "wahre Sittenlehre" (Leviathan, Kap.15). Seine Philosophie sieht er als Garanten für den Frieden im Staat und für die Vermeidung des Bürgerkrieges.

Der Gesellschaftsvertrag

 Die Menschen erkennen also, dass es ihrer Selbsterhaltung dienlicher ist, ihr Recht auf alles aufzugeben (unter der Voraussetzung, dass es die anderen auch tun), den Krieg aller gegen alle zu beenden und unter Anerkennung der Naturgesetze in Frieden zu leben. Die Einhaltung der Naturgesetze kann nur von einem starken Staat garantiert werden, an den die Menschen ihre Rechte gemeinsam übertragen. Denn die Verletzung des friedlichen Zusammenlebens muss mit einer wirksamen Sanktion bedroht werden. Die Ahndung kann aber nicht von den streitenden Parteien selbst unternommen werden, da sie sich dann weiterhin im Naturzustand befänden. Es muss also ein unbeteiligter Dritter mit jenen Machtmitteln ausgestattet werden, die das wirksame Einschreiten gegen einen Bruch der Verpflichtung zur Friedlichkeit erlaubt. Die Menschen schließen also einen Gesellschaftsvertrag. Die Legitimation der Macht wird bei Hobbes also nicht mehr von Gottes Gnaden abgeleitet, sondern von den Menschen. Doch es ist nicht der Staat, mit dem der Einzelne einen Vertrag schließt, sondern es ist ein Vertrag eines jeden mit jedem im Staat.

Im Gesellschaftsvertrag übertragen alle Menschen einen Teil ihrer Freiheit, das Recht sich selbst zu "regieren" auf eine Person oder Gesellschaft (auf den Staat), eine zentrale Autorität, die mit dem Gewaltmonopol ausgestattet ist (= Souverän) und bekommen dafür Frieden und Ordnung.  Hobbes´ Ideal ist dabei ein absolutistischer Monarch, da jener den inneren Frieden besser behaupten könnte als z. B. ein Parlament, indem wieder allein aufgrund der Vielheit der Entscheidungsträger der Unfriede weitergepflogen wird.

Durch die kollektive Übertragung der Macht auf eine Obrigkeit entsteht eine Gewalt, die stark genug ist, die Naturgesetze zu garantieren, Frieden zu sichern. Es entsteht ein Staat. Hobbes´ Definition von Staat ist demgemäß:

"Staat ist eine Person, deren Handlungen eine große Menge Menschenkraft der gegenseitigen Verträge eines jeden mit einem jeden als ihre eigenen ansehen, auf dass diese nach ihrem Gutdünken die Macht aller zum Frieden und zur gemeinschaftlichen Verteidigung anwende." (Leviathan, Kap. 17)

Dieser Hobbesche Gesellschaftsvertrag kombiniert also zwei Rechtsakte: einen wechselseitigen Vertrag, in dem jeder gegenüber jedem auf die Ausübung des natürlichen Rechts auf alles verzichtet und eine einseitige Übertragung der Befugnis zur Erzwingung der Einhaltung dieses Vertrages an eine Person oder eine Versammlung. Die Art der Ausübung der Staatsmacht ist durch den Urvertrag nicht geregelt, der Souverän ist ermächtigt, das Gewaltmonopol nach Gutdünken zu handhaben.

Diesen autoritären Machtstaat will Hobbes im Leviathan, einem drachenähnlichen biblischen Ungeheuer aus dem Buch Hiob, wiedererkannt haben. Dieser Staat wurde durch den Gesellschaftsvertrag geboren, er ist somit "künstliche Person" (Leviathan, Kap. 10). Einem Staat kommt gottähnliche Macht auf Erden zu, so stark ist er; da er aber theoretisch in den Bürgerkrieg zurückfallen kann, nennt Hobbes den Leviathan den "sterblichen Gott":

"So entsteht der große Leviathan, der sterbliche Gott, dem wir unter dem ewigen Gott allein Frieden und Schutz zu verdanken haben. Dieses von allen und jedem übertragene Recht bringt eine so große Macht hervor, dass durch sie die Gemüter aller zum Frieden unter sich geneigt gemacht und zur Verbindung gegen ausländische Feinde leicht bewogen werden." (Leviathan, Kap. 17)

Der Staat ist also eine künstliche, d. h. der menschlichen Intelligenz entsprungene Schöpfung des Menschen, eine bewusste, willentliche Leistung des Menschen.

Die Rechte des Souveräns

  1. Der Urvertrag ist unkündbar, denn jede Auflösung würde die Wiederherstellung des Naturzustandes bedeuten. Entsprechend ist der Souverän unabsetzbar.
  2. Die Entscheidungen des Souveräns sind unanfechtbar. Da die Untertanen dem Souverän freiwillig und wissentlich eine Generalermächtigung für alle Maßnahmen gegeben haben, die der Vertragszweck der Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit erfordert, haben sie damit auch ihr bedingungsloses Einverständnis mit allen Maßnahmen des Souveräns zum Ausdruck gebracht. Alle Entscheidungen des Herrschers sind unmittelbar Ausdruck des Willens seiner Untertanen. Widersprechen die Untertanen dem Herrscher, widerrufen sie damit gleichzeitig ihre Generalvollmacht , d. h. sie fallen in den Naturzustand zurück. Der Souverän ist insofern nur ausführendes Organ des politischen Willens der Untertanen, er ist - so Hobbes - ihr Vertreter oder Repräsentant, während die Vertragsschließenden die Autoren der Handlung des Souveräns bleiben.
    "Was der Vertreter als Vertreter tut, tut jeder einzelne Untertan als Autor." (Leviathan, Kap. 19)
    Widerstand gegen die Staatsgewalt ist nur dann rechtmäßig, wenn eine Person sich selbst vor dem Tod zu schützen versucht. Dabei handelt es sich um ein Notwehrrecht, das seine Begründung im natürlichen Recht auf Selbsterhaltung hat.
  3. Eine verfassungsrechtliche Beschränkung der Macht des Souveräns ist logisch nicht möglich, denn dazu müsste sich die Urversammlung selbst bereits als Souverän eingesetzt haben. Dies kann jedoch nicht sein, weil sie dann einen Vertrag mit sich geschlossen haben müsste, was nicht möglich ist, weil sie als Körperschaft (juristische Person) gar nicht existiert
  4. Die Macht des Souveräns ist absolut. Der Souverän steht über dem von ihm selbst gesetzten Recht, eine Verantwortung besteht für ihn nur vor Gott. Allerdings bleibt er an den Zweck des Urvertragsschlusses gebunden. Daher können die Untertanen ihm die Anerkennung als Souverän in dem Moment entziehen, in dem der Souverän zu schwach geworden ist, um die Erfüllung des Vertragszwecks weiterhin zu gewährleisten. Damit würden die Untertanen allerdings wieder in den Naturzustand zurückfallen.
  5. Eine Gewaltenteilung im Staat ist widersinnig. Im Falle eines Konfliktes zweier Gewalten gäbe es nämlich keine Instanz, die eine unwiderrufliche Entscheidung durchsetzen könnte. Das wäre gleichbedeutend mit der Rückkehr in den Naturzustand.
  6. Aus der absoluten Machtfülle des Souveräns leiten sich die politischen Hoheitsrechte des Souveräns ab: Der Souverän beschließt Gesetze und überwacht ihre Ausführung, er unterhält und befehligt eine Polizei sowie eine Streitmacht zur Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit, er ist oberster Richter und befindet über Krieg und Frieden. Er weist in einem Akt ursprünglicher Vermögensaufteilung sogar den Untertanen ihr Eigentum zu.